Von gestern auf heute nahmen wir Auslandsstudenten an einem "Survival-Camp" unseres Programmes teil, was mal wieder einen Blogeintrag wert ist. Für uns ging es an die shou-gakko, die japanische Grundschule in Sasaguri, in der jedem von uns ein japanisches Grundschulkind zugeteilt wurde, mit dem wir unsere Zeit verbrachten. Damit das Ganze auch einen Hauch von "sawaiwaru" hatte, sollten wir nur Japanisch sprechen (was anderes wäre uns nicht übrig geblieben, weil keines der Kinder Englisch konnte).
Am Freitag durften wir einen typischen japanischen Schultag miterleben, jeder in der Klasse seines zugeteilten Kindes. Hinata, 11 Jahre, meine kleine Betreuerin nahm mich gleich an der Hand und führte mich in ihr Klassenzimmer, in dem ich, Vita (die Indonesierin) und zwei Thailänderinnen begeistert und mit einem lauten "ohayo gozaimasu" (Guten Morgen!) von ihren Klassenkameraden empfangen wurde. Wir mussten uns vor die Klasse stellen und den Kindern Rede und Antwort stehen. Hier sind mir schon die ersten Unterschiede zur deutschen Schule aufgefallen. Die Lehrerin fragte in die Runde, wer uns eine Frage stellen möchte und sofort gingen 30 Hände hoch und es wurde laut "hai!" (Ja!) geschrien. Die Lehrerin rief ein Kind auf, welches dann aufstand und seine Frage stellte. Keinerlei Schüchternheit oder Angst, nur offene, neugierige Gesichter! Ich hab meine Schulzeit da anders in Erinnerung...
Aber natürlich gab es auch hier einen Klassenkasper, der in der ersten Reihe saß und ständig auffallen musste.Zu allererst fiel er allein schon äußerlich auf. Orange-bräunlich gefärbte Haare, Jogginghosen und ein cooles T-shirt. Wenn er eine Frage hatte, wartete erst gar nicht, bis dass er aufgerufen wurde, sondern sprang gleich, laut "hai!" brüllend auf und hampelte herum.Auch seine Fragen waren sehr lustig: "Isst man in Deutschland nur mit den Händen?" oder "Haben Indonesier alle schwarze Haare?" Wir amüsierten uns natürlich sehr, aber die Lehrerin schien es halb so lustig zu finden. Anstatt jedoch mit ihm zu schimpfen, sagte sie nur geduldig "shizukashite kudasai" (Sei gefälligst ruhig!) und ignorierte ihn daraufhin einfach.
Nachdem wir den Wissenshunger der Kinder halbwegs gestillt hatten, durften wir uns auch setzen und dem Unterricht so gut es geht folgen.
Auch hier gab es eine weitere Auffälligkeit: an der Tafel klebten am oberen Rand kleine Schilder, auf denen die jeweiligen Namen der Schüler standen. Rief die Lehrerin jemanden auf, schob sie dessen Namensschild nach unten. So konnte sie sehen, wer noch nichts gesagt hatte und die Kinder sollten dazu angeregt werden, sich zu melden (was aber nicht nötig war, weil die Motivation etwas zum Unterricht beizutragen, sehr hoch war).
Ich glaube das Fach, das die Kinder gerade hatten, war eine Mischung aus Erdkunde, Sozialkunde und Biologie. Es ging z. B um die Verschmutzung von Flüssen und in den Schulbüchern konnte ich Themen wie Entstehung von Regen und Vulkanerruptionen erkennen. Später durften die Kinder Thailand, Indonesien und Deutschland auf der Weltkarte ausfindig machen.
Nach dem Unterricht war Mittagszeit und die Tische wurden zusammengeschoben. In Japan isst man in der Schule zu Mittag und zwar zusammen im Klassenzimmer. Manchen Kindern wird der Essensdienst zugeteilt, was auch interessant war, da diese sich weiße Hygienehauben, -mäntel sowie einen Mundschutz anzogen. Lauter kleine Chirurgen liefen da herum. Ein Essenswagen wurde hereingeschoben und die zuständigen Kinder verteilten Curry mit Reis. Dazu erhielt jeder von uns ein Fläschchen Milch.
rechts ist der Klassenkasper oder "yakuza-kid", wie wir ihn nannten. |
Nach dem Mittagessen begann die Mittagspause für eine Stunde. Hinata und die anderen Kinder zogen mich zuerst in die Schulbibliothek, zeigten mir dort lauter Mangas und das Bilderbuch "Der Regenbogenfisch" auf Japanisch und liefen dann wieder zurück ins Klassenzimmer, wo wir zusammen ein japanisches Spiel spielten, was wahnsinnig beliebt zu sein scheint. Es ist eigentlich nichts anderes als "Schere Stein Papier" jedoch noch mit erweiterten Aufgaben. Sehr lustig und sehr laut!
ganz rechts: Hinata |
Als wir uns nach dieser süßen Vorführung wieder eingekriegt hatten, ging es zurück in die jeweiligen Klassenzimmer. Auf Hinatas Stundenplan stand Musikunterricht und auf dem Weg dorthin, konnte ich schon das Pfeifen von rund 30 Blockflöten hören. Ja! In Japan lernt man Blockflöte in der Schule, ob man will oder nicht und genauso konnten es manche gut und manche eher weniger. Meine armen Ohren... ;-P
Alle Kinder standen brav an ihren Plätzen, flöteteten was das Zeug hielt und die Lehrerin lief dirigierend durch die Reihen um ihre Schützlinge zu korrigieren und zu loben.
Nach der Flöterei setzte sich eines der Mädchen an das Klavier und begleitete die Klasse, die ein Lied für die Abschlussfeier des Schuljahres (in Japan beginnt das Schuljahr im April) einüben mussten.
Daraufhin wurden noch weitere Lieder gesungen und die Lehrerin stand vorne und schrie währenddessen Fragen in den Raum. Ich hab nicht alles verstanden aber eine Frage war: "Was für Gefühle habt ihr, wenn ihr das Lied singt?" und es wurden Antworten wie "Freude" oder "Trauer" zurückgerufen. Allgemein ist der japanische Unterricht sehr laut. Die Lehrerin schreit, die Kinder brüllen und am Ende der Klasse brüllen erst zwei Kinder etwas wie "Der Unterricht war heute schön, hiermit ist er beendet" und dann alle im Chor "otsukaresama deshita", was nicht wirklich übersetzt werden kann, aber zum Ende des Unterrichts oder nach getaner Arbeit gesagt wird und die "Mühe" des Tages beendet ist.
Nach dem Musikunterricht war der Schultag um 16h beendet und ich begleitete Hinata zu sich nach Hause, wo mich schon ihre Mutter Kaoru, Manaka die Mittlere und Chihaya, der Jüngste der dreiköpfigen Rasselbande erwarteten. Der Vater, dessen Namen mir leider entfallen ist, kam später und brachte sashimi, rohen Fisch mit. Sehr lecker!
Ich durfte bei Manaka im Zimmer auf dem Futon schlafen, was sie sehr gefreut hat, da die 9-jährige sehr an mir hing. So lieb! :) Am nächsten Morgen wurde ich lautstark um 8h von Chihaya mit einem "asa dayou!" geweckt und nach unten zum Frühstück geführt. "cha-han" (gebratener Reis mit Ei), omiso-shiru (eine sehr leckere Suppe), Reis und Brokkoli standen schon auf dem Tisch. So frühstückt man traditionell in Japan. Sehr üppig und nahrhaft.
Um 10h fuhren wir zusammen in die Gemeindehalle Sasaguris, wo wir Auslandsstudenten den Kindern und Eltern etwas von unserem Land vorstellen mussten. Deutschland entschied sich für das Spiel "Der Fuchs geht um", welches auch in japanischer Version existiert und von den Kindern begeistert gespielt wurde.
Mittags ging ich mit meiner Survival-Familie noch zum Ramen essen und danach wieder zurück ins Wohnheim.
Es war interessant, den japanischen Schulalltag kennengelernt haben zu dürfen, mit den Kindern zu reden und zu spielen und ihre Offenheit und Neugier genießen zu können. Auch die zweitägige Gastfamilie war wieder sehr herzlich und es hat mir Spaß gemacht, sie mit meiner anderen Gastfamilie vergleichen zu können und zu beobachten, wie das Familienleben und die Erziehung der Kinder teilweise unterscheidet.
So kam mir Kaoru doch strenger als Chizuko in ihrer Muterrrolle vor, aber das muss man wohl bei drei Kindern sein. Gemeinsam haben sie jedoch den geduldigen und liebevollen Umgang mit den Kindern.
Mata ne!
P.S: als ich heute zurück ins Wohnheim gekommen bin, hatte Hara-san, meine "Erdbeer-Freundin" des vorigen Blogeintrags ein Päckchen für mich, welches sie mir freudestrahlend übergab.
Als Dank erhielt ich nämlich tabi, die japanischen Socken für geta, die Schuhe, die zum Kimono getragen werden.
Der Erbeerenverlust sei ihr vergeben, dank des japanischen reziproken Denkens ;)