Donnerstag, 3. November 2011

Eine schrecklich nette Familie....

"Hen na ojisan, hen na ojisan" (= komischer Onkel) sangen Miyabi (8 Jahre alt) und Mizuki (fast 3 Jahre alt), die beiden Kinder meiner Gastfamilie, zur Begrüßung, als sie mich letztes Wochenende mit ihrer Mutter Chizu vom Wohnheim abholten, um mit mir zwei Tage zu verbringen. Nein, nein ich sei mit ihrem Gesang nicht gemeint, erklärte mir Chizu. Die Kinder hätten letztens eine Fernsehshow gesehen, bei der ein älterer Herr dieses Lied gesungen habe und dazu von einem Bein auf das andere gehüpft sei (japanisches Fernsehen ist soooo interessant, ziemlich dämlich und sehr voyeuristisch, man muss sich ja nur Takeshi's Castle vor Augen führen und erhält dadurch eine ungefähre Vorstellung davon).
Vielleicht noch vorweg, für denjenigen der es noch nicht weiß: Jede internationale Studentin des Programms hat hier eine Gastfamilie, mit der sie ein- bis zweimal im Monat etwas unternimmt und dadurch den japanischen Familienalltag erlebt und erfährt, wie eine Familie ihre (Frei-)zeit verbringt.

Da ich noch nicht zu Mittag gegessen hatte und Chizu und die Kinder auch nicht, fuhren wir in eine der unzähligen, riesigen Shopping Malls Fukuokas, um dort Ramen (japanische Nudelsuppe) und für die Kinder etwas von Macu Donarudo zu kaufen und vor Ort zu essen. Eigentlich wäre es nach dieser Stärkung gleich weiter zu dem nahegelegenen Schrein "Miyajidake jinja" gegangen, doch auf dem Weg zum Auto, vorbei an lauter verschiedenen Kleidergeschäften, Drogerien und Schuhläden, passierten wir unter anderem ein Spielzeuggeschäft , zur Freude Mizukis, der sich nicht mehr von all den schönen Omocha losreißen konnte. Dieses Kinderparadies bestand nämlich nicht nur aus Regalen mit verpackten, ordentlich eingeräumten Spielen, Puppen und Eisenbahnen, sondern auch aus einer großen Spielfläche mitten im Laden, auf dem alle möglichen Spiele und Spielzeuge verteilt waren. Wie kann das einen kleinen Dreijährigen kalt lassen?!

Ungefähr so hat Mi-kun (Spitzname) geschaut, als seine Mama zum hundertsten Mal liebevoll anmerkte, dass wir jetzt dann (irgendwann in den nächsten 3 Stunden) gehen werden. Chizu ist unglaublich geduldig, ich habe sie noch kein einziges Mal ungeduldig oder wütend erlebt. Mit einer beneidenswerten Geduld hat sie geschlagene eineinhalb Stunden ihren Sohn gebeten, der Modelleisenbahn "Bye-bye" zu sagen. Ich weiß nicht mehr, wie sie es geschafft hat, aber Mi-kuns Spielfreudigkeit hatte auch Vorteile für mich. Da es Chizu unangenehm war, mich so lange warten zu lassen, durfte ich mir als Entschädigung etwas aussuchen. Yatta!

Geschafft! Endlich saßen wir im Auto, aber schon tat sich mir ein neues Kinderspektakel auf: Ich kann mich noch erinnern, dass ich mich als Kind bei meinem Onkel im Auto nicht anschnallen musste und in den letzten zehn Jahren hat sich das auch nicht geändert. Somit kletterten Mi-kun und Mi-chan fröhlich durch den hinteren Teil des Autos. Vor allem Mi-kun hatte seine wahre Freude, da er mal die Schaltknöpfe der Fensterscheibe drückte und sein Köpfchen in die Fahrtluft rausstreckte, mal zu seiner großen Schwester krackselte und ihr an den Haaren zog, so dass diese lauthals quitschend protestierte, was ihn in seinem Tun nur bekräftigte. Und einmal zog er seinen kleinen Insektenkescher aus dem Kofferraum, den er Mi-chan freudig über den Kopf zu ziehen versuchte.
Und was machte Chizu? NICHTS! Nichts, was dem bunten Treiben auf den billigen Plätzen irgendwie Einhalt geboten hätte. Ich dagegen wär vor Sorge fast auch nach hinten gekrabbelt, um Mi-kun anzuschnallen und ihn dadurch vor einem Flug durch das Autofenster zu bewahren. War ich froh als wir Hiroki, den Vater von daheim abholten, um dann endlich (einigermaßen zivilisiert) zum Schrein fahren zu können.
Es war ein sehr verregneter, dunkler Tag, so dass eine leicht unheimliche Stimmung beim Schrein vorhanden war. Ein wenig erinnerte mich das Ganze an den Film "Chihiros Reise ins Zauberland" bei dem in der Anfangsszene das Mädche Chihiro aus einem unheimlichen Ort wegrennen will, der aus traditionellen, japanischen Gebäuden besteht und es immer dunkler wird und nach und nach die Lampions angehen. Wer den Film gesehen hat, weiß was ich meine.

Miyajidake jinja
Auch wenn ich einiges davon verstehe, was mir meine Gastfamilie alles erzählt, so ist mir doch entgangen, dass wir nach der Schreinbesichtigung Chizus Eltern, die in einem von Fukuoka 40 km entferten Ort leben, dessen Name ich leider vergessen habe, besuchen würden. Immer wieder Überraschungen :)

Die Großeltern leben in einem riesigen, alten, typisch japanischem Haus, welches von eigenen Gemüsebeeten und Obstbäumen umgeben ist. Ich wurde sehr herzlich von ihnen und der Urgroßmutter begrüßt. Zu einem umfangreichen Abendessen, bestehend aus rohem Fisch, Gemüse, Reis, Fleisch und Nori (= das Grüne, was man für Sushi verwendet) bestand der Großvater darauf, dass ich mit ihm ein Bierchen und ein, zwei Gläschen Pflaumenwein trinke. Im Laufe des Abends wurde er immer mehr "yopparai", was es mir immer schwerer machte, ihn zu verstehen, da er erstens irgendeinen Dialekt sprach, zweitens sein angetrunkener Zustand ihn bisschen nuscheln ließ und er drittens es einfach nicht lassen konnte, mich mit Themen wie dem Mauerfall, dem deutsch-japanischem Verhältnis während des zweiten Weltkrieges, oder der Bundeskanzlerin, die laut Hiroki "Mengeru" (Mängel?) heißt, zutextete und dafür meine volle Konzentration forderte. Gut, dass Hiroki mir hilfsbereit mit einem Englischwörterbuch gegenüber saß und bei jedem meiner irritierten Blicke, eifrig in den Seiten blätterte.
Zwischendurch musste ich die deutsche Hymne zum Besten geben und meiner Gastfamilie erklären, was eine Shisha ist und wie sie funktioniert.

 vorne links: Mi-kun, Chizus Schwester, Uroma, ich, Großvater. hinten links: Großmutter, Chizu, Mi-chan, Chizus Schwager mit Töchterchen Riana, Hiroki




Als Anerkennung meines anstrengenden Kampfes durch den Mauerfall und manche Mängel, schenkte mir der Großvater zwei Zweige voller Kakifrüchte, die er eigens aus seinem Garten geholt hatte.





Kein Wunder, dass ich gegen 23:00h völlig fertig mit der japanischen Welt war und nur noch in mein Futon (japanisches Bett) schlüpfen wollte, welches in einem der wunderschönen Tatamiräume (typischer japanischer Raum mit Schiebetüren und einem Boden aus Reisstrohmatten) der Familie für mich vorbereitet wurde.
Am nächsten Morgen gab es ein Frühstück, dass mit der Menge des Abendessens locker mithalten konnte. Danach packten wir alle unsere Sachen und luden sie in das Auto. Kurz bevor wir gingen, meinte Chizu, dass wir uns noch verabschieden müssten, - von den Ahnen. Also gingen wir in einen der Tatamiräume und knieten uns vor einen buddhistischen Altar. Wir zündeten jeder Räucherstäbchen an, steckten sie in eine dafür vorgesehene Schale, schlugen jeweils zweimal mit einem Holzstab gegen eine kleine Klangschale und pressten dann unsere Handflächen aufeinander.
Somit ging ein wunderschönes Wochenende, voll mit japanischen Vokabeln, anspruchsvollen Gesprächsthemen, lieben Menschen und einer unglaublichen Gastfreundschaft zu Ende.

Mata ne!

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