Sonntag, 27. November 2011

Zwei Jahreszeiten gleichzeitig?!

Puuh, ich sitze gerade an meinem Schreibtisch und versuche, das Erlebte des jetzigen Wochenendes vor Augen zu rufen. Leider fällt es mir schwer, nachzudenken, dass ich überhaupt tippen kann ist schon verwunderlich, denn der Rest meines Körpers scheint nahezu unbeweglich. Naja, ich werde mein Bestes geben, die letzten drei Tage zusammenzufassen.
Woher also diese Trägheit?! Hmm, heute haben wir den ersten Advent, draußen waren es tagsüber sicherlich um die 20 °C, drinnen in Sarahs guter Stube bestimmt 27 °C, nicht nur wegen der dämlichen Klimaanlage, die als Heizungsersatz dient und im wahrsten Sinne nur heiße Luft in den Raum pustet (sobald sie abgeschaltet ist, friert man).
Nein, letztens hatten wir die glorreiche Idee, die kommenden Sonntage damit zu verbringen, ein wenig europäische Stimmung unter den japanischen, durch Amerika beeinflussten Kurisumasu-Trubel zu mischen. Selbstgebackene Vanillekipferl, Eiweiß-Mandel-Makronen mit Schokobuttercreme-Füllung, sowie weißer und roter Glühwein sind deswegen Schuld an meiner momentanen Unbeweglichkeit.
Aber was soll's, wir hatten einen gemütlichen ersten Advent mit sehr vielen lustigen Momenten.

Ich finde es schwer, hier in richtige Weihnachtsstimmung zu kommen, nicht nur wegen des warmen Wetters, sondern auch wegen der anderen Auffassung des Festes, die hier herrscht. Für Japaner ist Kurisumasu eher so etwas Ähnliches wie Valentinstag. An Weihnachten geht man mit seinem Partner aus und schenkt sich gegenseitig "puresento". Der familiäre Hintergrund ist weniger vorhanden, dafür gibt es "shougatsu", das Neujahrfest, welches man traditionell im engen Kreis der Familie feiert, mit sehr viel Essen und einem Besuch eines Tempels oder Schreins.
Weihnachten ist also ein richtiges "verkommerzialisiertes" Fest, an dem Santa Kurausu kommt, wenn ich richtig verstanden habe, sogar seinen Geburtstag feiert und lauter Geschenke verteilt. In den Schaufenstern sieht man lauter Puppen, die schicke, schillernde Cocktailkleider anhaben, welche daheim wohl eher an Silvester getragen werden würden und überhaupt ist ganz Fukuoka bestückt und geschmückt bzw. überladen mit Glitzereien, Lichterketten und riesigen leuchtenden Bildern, die an den Wänden der Departmentstores und den Bahnhöfen angebracht sind. Wer's mag, wird wohl seine Freude daran haben...

Tenjin Core- department store

Tenjin Station

Aber gut, zurück zu unserem Adventsbacktag: Es hat sehr Spaß gemacht, zusammen zu sitzen, heißen Glühwein zu trinken und dabei an den Christkindlmarkt am chinesischen Turm zu denken, an die gefrorenen roten Nasen und Hände, an die kalte Luft und den Schnee. Okay, zu nostalgisch will ich nun auch nicht werden, aber ich freue mich schon jetzt auf nächstes Weihnachten, obwohl ich eigentlich gar nicht so ein Fan davon bin.

Umgerechnet 9 € die Flasche, aber man gönnt sich ja sonst nichts haha! ;)




Lustig finde ich, dass hier die Weihnachtzeit beginnt und gleichzeitig der Herbst sich noch in seinen schönsten Farben zeigt. Kouyou, die Blätterverfärbung die ich glaube ich schon einmal erwähnt habe, ist gerade in vollem Gange, weshalb wir gestern nach Saga(land), die Nachbarpräfektur Fukuokas, gefahren sind.
Ich habe noch nie so intensive Farben gesehen, egal wohin man auf dem Gelände des Schreins, bei dem wir waren, geblickt hat, überall sattes Orange, Weinrot und Goldgelb. Noch dazu schien die Sonne so gut sie konnte, wodurch ein beeindruckendes Lichtspiel entstanden ist.







Kein Wunder, dass dieses Naturschauspiel so viele Menschen nach Saga gezogen hat, es war wahnsinnig viel los und jeder wollte wohl die schönsten Fotos machen, egal wohin man ging, man musste ständig zur Seite springen und "Sumimasen" sagen, um nicht ungewollt auf irgendwelchen Freizeitbildern eines achzigjährigen Hobbyfotografen zu landen. Witzig, Japaner sind mit dem Klischee behaftet, immer und überall und alles zu fotografieren, was ich auch auf keinen Fall verneinen möchte, aber wir Auslandsstudenten sind nicht anders. Jedes Blatt, jeder Stein, jede unbekannte Blume und natürlich allerhand unterschiedliche Gerichte müssen aufgenommen werden, - digital verewigt und archiviert.

Im Curry-Restaurant nach der Kouyou-Bestaunung

Entschuldige Lucy... du dienst nur zur Veranschaulichung, nimm's nicht persönlich ;)

Ja, man könnte meinen, dass das vorerst alles war, aber nein, ein Häschen (ein ziemlich wuchtiges) kann ich noch aus meinem japanischen Zylinder ziehen. Das WJC-Programm hat es doch tatsächlich geschafft, uns kostenlose Tickets für das "Grand Sumo Tournament" in Fukuoka zu besorgen.
Also ging es Freitagnachmittag zum Sumogucken und es war wirklich ein Erlebnis. Mich haben die Sumos bei ihrem Training am vergangenenWochenende schon fasziniert, aber das hier war noch einen Tick besser. Anfangs dachte ich, dass es nicht so spannend sei, da nicht sonderlich viel los war, nur vereinzelte Plätze besetzt waren und die Sumos der unteren Ränge gegeneinander antraten. Doch im Laufe des Turniers füllte sich die riesige Halle immer mehr und die Stimmung stieg spürbar. Je höher die Ränge wurden, desto länger dauerte ein Kampf (nicht mehr 30 sek. sondern 2 min.) und umso mehr schrien die Zuschauer. Manche riefen die Namen der jeweiligen Sumos und eine Grundschulklasse quiekte unentwegt "Ganbatte" ("Halt durch!", "Du schaffst das!") in Richtung "dohyo", dem Kampfring aus Reisstroh.



Wenn einer der Sumos aus dem Ring gedrängt wurde und nach unten stürzte, ging öfters ein entsetztes "Aaaah" durch die Zuschauermenge und die Besitzer der teuren Plätze in den vordersten Reihen  mussten um ihr Leben fürchten und rechtzeitig ausweichen, um nicht von einem der Schwergewichte zerquetscht zu werden. Auch der "gyoji", der Schiedsrichter musste aufpassen, nicht zwischen die Ringer zu geraten, was er geschickt durch eifriges Hin-und Herhüpfen (was mich stark an einen Frosch erinnerte) um die beiden Kämpfenden herum, verhinderte.


Bevor es zu einem richtigen Kampf kommt, können Minuten vergehen, in denen die beiden Sumos sich immer wieder in die Startposition (nach vorne gebeugt, die Fäuste auf den Boden gestützt) begeben und einer der beiden sich dann wieder aufrichtet à la "Ach nee du, ich will doch noch nicht kämpfen stattdessen ärgere ich dich noch ein bisschen". Dieses Verhalten kann sich drei, viermal wiederholen und von einem Sumo zum anderen wechseln. Bei jedem Mal merkt man, wie die Spannung im Zuschauerbereich steigt und jeder darauf wartet, dass der Kampf beginnt. Irgendwann aber verharren beide wirklich, blicken sich an, um zu kontrollieren welcher von ihnen schneller angreifen kann (wie ein Revolverduell aus dem Wilden Westen, nur ohne Revolver aber dafür mit viel Fett). Dieses gegenseitige Ärgern, welches auch zur Spannungssteigerung dient, ist allerdings auf vier Minuten begrenzt, die von den meisten komplett ausgenutzt werden. Doch erst 1928 wurde erstmals eine Zeitbegrenzung von 10 min. eingeführt, davor konnten die Sumos beliebig lange auf den richtigen Moment warten.


Ganz am Ende betrat Hakuhou, der derzeit erfolgreichste Sumo Japans, den Ring. Seinen Gegner hiefte er nahezu mühelos, nachdem beide sekundenlang ineinander verhakt waren, am "mawashi", dem seidenen Gürtel der Sumos, aus den Ring heraus. Verloren!

Hakuhou
Als abschließendes Ritual des Turniers vollführte Hakuhou den traditionellen Bogentanz "yumitori-shiki". In der Edo-Zeit (1603-1868) wurde ein Sumokämpfer wenn er gewann, mit einem Bogen ausgezeichnet. Als Zeichen seiner Zufriedenheit und Würdigung dieses Preises führt der Gewinner dann den yumitori-shiki auf.

So, das war's vorerst, mal sehen was ich sonst noch so erleben werde :)
Liebe, herbstliche Wintergrüße und euch allen eine gemütliche Adventszeit.

Mata ne!





3 Kommentare:

  1. Jetzt bin ich erst recht neidisch! Sumo live!!!
    Echt Hammer. Die Laubfarben sind wirklich sehr schön. Und den SZ Bericht habe ich auch schon gelesen.
    Gruß

    PAPA

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  2. Hey,
    ich hab den Bericht über deinen Blog in der SZ gelesen und ich muss sagen, du schreibst wirklich super. :) Ich sitze jetzt schon über eine Stunde am PC und lese. Eigentlich müsste ich lernen.. :) Mein Onkel, meine Tante und Cousine waren auch für ein halbes Jahr in Japan und dadurch hab ich schon vieles über Land und Leute gehört. Und sie haben das gleiche berichtet, unendliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.
    An dieser Stelle kann ich noch ein wenig Schleichwerbung mit einbringen, mein Onkel hat über diese Reise ein Buch geschrieben "Kiyo - Als Familie unterwegs in Japan", falls interesse besteht. :)
    Ich wünsche dir auf jeden Fall weiterhin eine tolle Zeit und eines kann ich dir versichern, ich werde weiterhin mit Begeisterung deinen Blog verfolgen. :)

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  3. Wow, ich hätte nicht gedacht, dass jemand Fremdes wirklich so Interesse an meinem Blog haben könnte. Vielen Dank für dein Kompliment :) Ich werde weiterhin berichten und wenn sich Zeit findet, mal deiner Schleichwerbung folgen!

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